Redwood

„Schon mehr als 100000 mal zog die Sonne hier vorbei, Feuer Flut und Wind bezwangen mich nicht, doch seltsam bleiche Wesen umschleichen mich nun…“ (Calva Y Nada)


Unsere kleine Reisegesellschaft ist seit fast sechs Wochen quer durch die Vereinigten Staaten unterwegs, wir waren zuvor fünf Tage in San Francisco und sind inzwischen im Norden Kaliforniens, im Redwood National Park angekommen. Im Besucherzentrum erhalten wir die Koordinaten für einen niedlichen und abgelegenen Campingplatz in der Umgebung sowie den Ratschlag, unbedingt die dort aufgestellten Metallboxen für die Aufbewahrung unserer Nahrungsmittel zu benutzen. Offen herumliegende Naturalien könnten nämlich die wilden Tiere anlocken. Im Falle der Begegnung mit einem hungrigen Bären sollten wir einfach laut schreien und herum hampeln, das dürfte den pelzigen Freund vertreiben. Dann würde der wahrscheinlich abhauen. Wenn nicht, müsste man halt etwas anderes ausprobieren. Oder schnell sein. Na das klingt doch schon mal vielversprechend, liebe Tierfreunde.
Nach längerer Kreuzfahrt finden wir den Weg zu besagtem Zeltplatz. Im strömenden Regen gehen wir vom Parkplatz aus ein Stück bergauf durch den Wald. Auf einer Lichtung befinden sich mehrere klobige Holztische und Bänke, hüfthohe Metallboxen, ein großes stabiles Plumpsklo und ein Rohr mit einem Wasserhahn, das nahtlos aus der Mitte der Wiese herausragt - das muss wohl der besagte Campground sein. Es schifft ausgiebig, während wir das Zelt aufbauen, als wir darin Nudeln kochen, diese essen, Brettspiele spielen und unsere Tagebücher schreiben. Abends um acht ist es derart völlig dunkel, dass der Tag zwangsläufig beendigt ist.
Erst gegen Morgen hört der Regen auf. Wir machen vormittags eine kleine Wanderung durch den Mammutbaumwald ohne auf Raubtiere zu treffen und verbringen den Rest des Tages mit der Suche nach einer warmen Dusche, denn ausgiebige Körperhygiene ist hin und wieder ganz ratsam, wenn einem ansonsten lediglich ein kalter Wasserstrahl zur Verfügung steht. Der vorsichtige Umgang mit unseren finanziellen Mitteln erschwert unser Vorhaben ein wenig, da wir Gebühren in jeder Form zu meiden versuchen. Auf sanitär erschlossenen Zeltplätzen sind Mitgliedsbeiträge aber ausdrücklich erwünscht und die Nutzung der Dusche daran geknüpft. Doch so kommen wir nicht ins Geschäft! Erst auf einem privaten Campingplatz gelingt es uns, drei kichernden dicken Mädchen den Schlüssel zu den Duschen kostenlos abzuschwatzen. Wenig später ist die Tagesaufgabe erledigt und wir kehren zurück in unser karges Domizil.
Als tags darauf die Sonne wieder scheint, so gegen halb elf, gehe ich runter zum Parkplatz, um Eier und Schinken für ein zünftiges Frühstück zu holen. Unser Fahrzeug steht an der Steilküste mit Blick auf den Pazifik und eine Robbenkolonie. Nach fünf Minuten Weg erreiche ich das Auto und wundere mich alsbald über ein heraushängendes Schloss an der Fahrertür. Das ist verdächtig. Auf der Kofferklappe liegt ein Stock mit einem Stück Draht. Der Fahrgastraum ist zerwühlt, das Radio grobschlächtig aus der Konsole gerissen. Den Kofferraum haben die Verbrecher nicht aufbekommen, aber immerhin den Tank. Aufgewühlt gehe ich zu den Gefährten zurück. Zu dritt inspizieren wir die Schäden. Das Handschuhfach ist leer, die Hutablage auch. Unsere Schadensliste ergibt: fünf nagelneue Jeans, vier ebensolche CD´s, sämtliche Tapes (Beatles, Doors, Neil Young, Skeptiker, Inchtabokatables – eins interessante Mischung für den amerikanischen Mittelklasseautoknacker), mein Fotoapparat, zwei Walkmänner und P´s ausgeleierter Rucksack sind weg. Am schlimmsten allerdings: einundzwanzig Dia-Filme, die zweifelsohne unseren größten Schatz darstellten. Und sogar die restlichen drei Radkappen haben die Schweine mitgenommen – eine hatten wir bereits nach unserem Besuch im Death Valley verbummelt.
M. und ich suchen sogleich die Papierkörbe in der Umgebung nach der Plastiktüte mit den Filmen ab. P. organisiert inzwischen eine Verabredung mit einem Ranger, der unseren herben Verlust aufnehmen soll. Als alle zurück sind, sitzen wir auf dem Auto und ich rauche ein paar Frustzigaretten. Neben uns parken zufällig jugendliche Amis, hören sich unser Leid an und schenken uns zwei Büxen Bier. Echt nett, die Einheimischen. Später kommt ein Typ aus New Hampshire, um auf unserem beschaulichen Zeltplatz zu übernachten. Wir laden ihn zum Essen ein und quatschen den ganzen Abend über unser Elend, alternative Musik (unser Gast hält die „Surfer Rosa“ für die beste Pixies-Platte ever – eine Meinung, die ich uneingeschränkt teilen kann) und Raumschiff Enterprise. Irgendwann kommt tatsächlich der Ranger, nimmt die Schäden auf, fotografiert unser Automobil und verspricht, die Müllmänner und den Sheriff zu benachrichtigen. Vielleicht finden sich unsere Filme doch noch an, sowas kann schließlich niemand gebrauchen. Den Rest kann man wieder beschaffen oder verschmerzen, schließlich sind wir versichert. Mit dem Untergang der Sonne endet der Abend am Busen der Natur notgedrungen wegen schlechter Sicht und frischer Briese.
Bevor wir endgültig einschlafen, hören M. und ich jemanden scharren und klappern. Das ist zunächst nicht ungewöhnlich, denn unser Kochgeschirr und diverse Nahrungsreste stehen auf dem Holztisch neben unserem Zelt und werden sicher gerade von Waschbären geplündert, wie in der Nacht zuvor. Mein Freund M., der in unserem Dreimannzelt in der Mitte residiert und als einziger direkten Zugriff auf den Eingangsbereich hat, späht vorsichtshalber durch die Stofftür und meint etwas überrascht, einen Bären sehen zu können. Ich frage überrascht nach der Größe des Tieres und erhalte zur Antwort, er sei so hoch wie der Holztisch neben uns. Also ganz ordentlich. Da verfällt der Schlafsacknachbar auf die glorreiche Idee, den Allesfresser mit dem Blitzlicht seiner Kamera zu verscheuchen. Kurz kramt er in seinen Sachen, raschelt einen Moment, dann lädt piepsend der Blitz und löst aus. Es ist hell wie beim jüngsten Gericht und der Fotograf fragt, ob ich etwas sehen könnte. Nein, entgegne ich. Ich sehe nur noch gleißendes Licht. Gut, dann sieht der Bär jetzt auch nichts mehr. Aber was macht der daraus? Wir warten…
Umsonst. Denn der Fellklumpen tut nichts weiter. Weder verfällt er in wütendes Gebrumme, noch rennt er in Panik unser Zelt um und schleift es mehrere hundert Meter mit sich. Er hat wohl andere Pläne, interessiert sich nicht allzu sehr für Tierfotographie sondern verkrümelte sich bereits unbemerkt in irgendeine andere Richtung. Haben wir offenbar Glück gehabt. Wir liegen noch ein Weilchen wach und besprechen den Fall. Der erholsamen Nachtruhe ist solch ein Abenteuer wenig zuträglich. Unser dritter Gefährte bekommt von dem Geschehen mal wieder gar nichts mit, er schläft tief und fest in seiner Ecke und wird erst nach Sonnenaufgang von der Begegnung mit der Bestie in Kenntnis gesetzt.
In den nächsten Tagen hören wir weder etwas von dem Bären, noch von unseren gestohlenen Wertsachen. Ein wenig frustriert buchen wir die Rückflüge, fahren in Richtung Süden nach Los Angeles und verkaufen dort das Auto für einen Bruchteil des ursprünglichen Preises. Ist halt ein bisschen was dran kaputt gegangen. Ein paar Stunden später fliegen wir zurück nach Deutschland, was auch nichts besser macht. (HO)