Grand Canyon

 „Ich kenne Schritte die sehr nützen und werde euch vor Fehltritt schützen.“ (Rammstein Amerika)


Wir wollen eigentlich bei Sonnenaufgang am Grand Canyon ankommen, lassen uns pünktlich um drei Uhr morgens wecken, können aber wegen der ungewohnten Gemütlichkeit im Motel-Zimmer nicht gleich aufstehen. So schön haben wir es schließlich selten.
Bevor wir losfahren, nutzen wir die Gelegenheit, um gepflegt zu duschen und unser geschundenes Campinggeschirr mal wieder ordentlich abzuwaschen. Aus diesen Gründen erreichen wir den Grand Canyon allerdings erst gegen Mittag. Der erhoffte Sonnenaufgang hat sich somit vorerst erledigt.
So großartig, wie erhofft, stellt sich das berühmte Naturwunder jedoch nicht dar. Ein relativ konturloser Mischmasch aus beigem Dreck, ein Loch im Boden, wenn auch etwas größer als andere Löcher, die man von zu Hause aus kennt. Der Canyon de Chelly hat mir jedenfalls besser gefallen. Der war so schön farbig und um einiges übersichtlicher. Wir fahren zum Nationalparkbüro und erhalten eine kleine Einweisung vom Ranger, nach der Peter auf die Idee kommt, wir könnten zur Ranch am Grunde des Canyons wandern und dort übernachten. Eine Reservierung bekommen wir heute aber nicht mehr, zu spät, sondern müssten darauf wohl noch ein bis zwei Tage warten. Aber hallo.
Kraft unserer Wassersuppe wandern wir trotzdem los. Die Parkwächter werden uns schon nicht teeren und federn, sondern für die tapferen Deutschen sicher eine kleine Ausnahme machen, denken wir. Egal, ob aus Mitleid oder Respekt. Wir marschieren 15:00 Uhr los, eine Zeit, zu der die anderen Wanderer, die mit dem Denken mehr Erfolg hatten, uns ausnahmslos entgegen kommen. In unsere Richtung, nach unten, ist offensichtlich niemand mehr unterwegs. Der Weg runter soll 15 km, der zurück 12 km lang sein. Der Höhenunterschied beträgt ungefähr circa genau 1500 Meter. Als erfahrener Expeditionsteilnehmer bei Brocken- besteigungen ohne Sauerstoff bin ich mit solchen geografischen Gegebenheiten natürlich durchaus vertraut. Na denn los.
Der Weg ist nicht allzu breit und führt ziemlich nah am Abgrund entlang. Bis zur Hälfte der Strecke windet er sich mit großem Gefälle. Beim Blick über den Rand wird mir manchmal ganz schön mulmig. Ebenerdige Wege liegen mir wohl doch eher. Auf halber Strecke machen wir eine kleine Pause. Mein Rucksack war mir schon nach wenigen hundert Metern zu schwer geworden, denn wir haben das Zelt, die Schlafsäcke und mehrere Liter Trinkwasser dabei. Es ist eine ganz schöne Schinderei. Aber als Abenteurer darf man sich nicht so haben.
Der nächste Teil des Weges wird etwas flacher. Wir überqueren mehrmals einen Bach und treffen einen Ranger, der uns rät, den gleichen Weg schleunigst wieder zurück zu gehen, da wir auf keinen Fall auf dem Campground bleiben könnten. Natürlich gehen wir unbeeindruckt weiter.
Unser Weg führt schließlich direkt am Colorado River entlang. Dieser ist dreckig und schlammig und um einiges breiter als ich gedacht hätte. Über eine Hängebrücke geht’s rüber zum Campingplatz in einer Spalte der Felswand. Tatsächlich werden wir vom erst besten Typen abgewiesen. Er rät uns, eine Meile weiter zu gehen und auf einem Seitenpfad zu zelten. Dort würden uns die Ranger wahrscheinlich nicht finden. Wir warten trotzdem ein paar Minuten auf den echten Wildhüter. Der erzählt uns das Selbe, wie der erste auf halber Strecke. Wir können nicht bleiben. Würden wir auf dem Weg nach oben oder überhaupt beim Wildcampen erwischt, kostet das 250 $ pro Person. Er könnte jedoch eine Ausnahme machen und uns bei der Station campen lassen, für 50 $ pro Nase. Wir Sparfüchse ziehen es natürlich vor, den 12 Kilometer langen Weg in der Dunkelheit zu nehmen. Er notiert zur Sicherheit unsere Personalien. Wenn wir oben angekommen sind, sollen wir eine Telefonnummer anrufen und uns zurückmelden. Ich nehme an, täten wir das nicht, würden sie uns suchen. Und töten. Falls wir noch am Leben wären, meine ich.
Wir füllen noch etwas Wasser auf, so dass wir sechs Liter dabei haben. Eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang machen wir uns auf den Weg. Meine größte Sorge gilt der Dunkelheit. Man sieht hier nämlich im Dunklen nix. Auch den Weg nicht. Nach dem ersten Anstieg kochen wir erst mal Nudeln, essen und liegen dabei auf den Isomatten. Wir werden von drei Amis überholt, die ebenfalls den Weg auf sich nehmen wollen oder müssen. Die sind ganz schön forsch unterwegs. Arschlöcher.
Um 20:15 Uhr beginnt der eigentliche Aufstieg. Der Weg schlängelt sich noch extremer an den verschiedenen Hängen entlang. Wenn ich daran denke, dass wir kaum etwas sehen und neben uns der Abgrund ist, könnte ich eine Havarie kriegen, doch die Sicht soll nicht unsere größte Sorge bleiben. Denn nach circa dreißig Minuten beginnen die wirklichen Probleme. Matthias und ich sind total fertig. Ich kriege kaum genug Luft, keuche wie ein alter Dampfkochtopf und meine Beine wollen auch nicht mehr. Matthias geht es ähnlich.
Nach einer Pause geht es weiter, aber nicht lange. Von da an werden die Märsche immer kürzer (unter 10 min) und die Pausen immer länger. Wir kommen kaum voran. Peter, der noch gut bei Kräften ist, will uns weiter ziehen, aber die Luft ist raus. Ich könnte mich mit meinem Schlafsack einfach auf den Weg packen. Wir schwitzen bis ins uferlose, sind klatschnass. Ich habe meine Klamotten zum Glück so gewählt, dass ich sie wechseln kann. Ich trage drei Lagen Mischgewebe. Das hält warm, aber der Wind kommt doch gut durch bis auf die Haut. Eine Lungenentzündung wäre ja auch ein hübsches Präsent. Wir machen notgedrungen eine größere Pause und kochen etwas Tee. Ich wechsele die Klamotten und ziehe meine Windjacke drüber. Damit schwitze ich zwar erst recht, aber der Wind bleibt außen vor. Wir rasten ca. 30 Minuten. Der heiße Tee tut gut.
Danach geht es besser, als ich gedacht hätte. Wir kommen gut voran. Auf extremen Steigungen, die meinen Beinen besonders zu schaffen machen, gehen wir sehr langsam. So laufen wir 45 Minuten durch. Das klingt alles lächerlich, aber ist doch eine riesige Schinderei. Danach lassen die Kräfte wieder nach. Wir müssen wieder öfter Pausen machen. Oft denke ich, wenn ich den Weg betrachte: da kann es doch nicht weiter gehen! Häufig kommt es dazu allerdings nicht, der Mond schaut nur zeitweise um die nächste Ecke. Meine schönen Beine sind derweil völlig am Ende. Ich bekomme die ersten Krämpfe. Wir machen noch eine Tee-Pause. Mit letzter Kraft geht es den steilen Weg hinauf. Laut dem Ranger von unten sollten wir bis 24:00 Uhr brauchen. Als wir endlich die Erdoberfläche erreichen, ist es nach 2:00 Uhr morgens. Ich bin so fertig, wie noch nie in meinem Leben.
PAM (unser Fahrzeug) steht ein ganzes Stück von unserem Standpunkt entfernt. Peter läuft alleine los, Matthias und ich bleiben mit den Rucksäcken auf einem Parkplatz. Wir legen uns in unsere Schlafsäcke zwischen zwei Autos und quatschen vor uns hin - bis Matthias einschläft. Eine Stunde braucht Peter, bis er wiederkommt. Dann ruft er das Ranger-Telefon an, um unsere Vermisstenmeldung abzusagen. In einem Hotel gehen wir gemütlich aufs Klo und essen ein paar Nudeln. Als wir uns endlich ins Auto legen ist es kurz vor 5:00 Uhr und unter 0°C kalt. Der Sonnenaufgang ist uns total egal. (HO)