Barajas Madrid - Wenn Akademiker reisen

 

Es kommt nicht oft vor, auf dem Flughafen Barajas (Madrid) übernachten zu müssen. Meist ist das grottenlangweilig, die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Getränken ist dürftig und die Klimaanlage verwandelt die Hallen in Eisschränke. Aber man kann sehr gut das Treiben der Mitwartenden beobachten. Hier fallen mit fortschreitender Wartezeit alle Hemmschwellen: Nasepopeln, Ausräumen von Gehörgängen, sich oder den Nachbarn an den Schritt fassen oder nach Fusel riechen sind weit verbreitet. Nicht so häufig können dagegen alkoholbedingte Zusammenbrüche beobachtet werden. Im Oktober 2004 während meiner nächtlichen Heimreise von Valverde nach Berlin kam es mir in der Wartehalle schon seltsam vor, wie ein älterer, durchaus gut, aber albern bekleideter Herr mit feistem Konquistadorengrinsen sein Handgepäck ausräumte. Schnaps (Kubanischer Rum), Unmengen verpackter Zigarren und wieder Schnaps kamen da zum Vorschein. Eine Flasche war bereits zur Hälfte ausgetrunken. Berechnet man ca. 10 Stunden Flugzeit von Havanna nach Madrid ist das zunächst nicht viel, keiner weiß allerdings was er noch aus der Bordbar getrunken hat. Warum er sich auf einmal bückte, ist bis heute ein legendenumwobenes Rätsel. Allerdings verlor Pizarro durch diese etwas unüberlegte Vorwärtsbewegung endgültig seine Ganzkörperspannung und stand etwas hilflos auf allen Vieren vor seinem Platz. Eine Weile war es ganz amüsant mit zuzusehen. Einen richtigen Plan, sich aus der misslichen Lage zu befreien, hatte er nämlich offenbar nicht. Der Sabber lief ihm aus Mund und Nase, der Kopf lief hochrot an. Naja, was man sehen konnte (die Glatze). Auch die Mitwartenden schien das zu amüsieren: "...gleich kippt der alte Saufsack aus den Latschen". Als Angehöriger von Sozial- und Gesundheitsberufen weiß man aber sehr gut, wann alle Ressourcen verbraucht sind, also: helfen. Bis dahin sollte man das Amüsement nicht unterbrechen. Für die geleistete Hilfe kam Dank in Form eines gebrochen gelallten, nach Kotze und Rum riechenden gracias. Immerhin saß er wieder auf dem Hosenboden. Hemd am Bauch aufgeknöpft, Hosenstall und Gürtel offen, ein feuchter Fleck an exponierter Stelle, prägnanter Fuselgeruch, feistes Grinsen, alles in allem ein jämmerlicher Anblick.
Kurz darauf gesellte sich ein weißhaariger Herr zu ihm – Howard Carpendale Verschnitt nur etwas fetter und kleiner, der die etwas hilflose Gestalt lautstark begrüßte. Beide sprachen deutsch und unterhielten sich über Kongresse, der eine (nennen wir ihn Saufschwein) war wohl in Havanna (das erklärt auch die Sache mit dem Rum), der andere war auf dem Rückweg von Buenos Aires. Einer sprach, der andere lallte etwas über Forschung und "die Studenten". Ganz offensichtlich eloquente Akademiker in lehrender und forschender Position an zukünftigen deutschen Eliteuniversitäten. Das Alter stimmte, die weltmännische Haltung war nur bei Howard Carpendale II zu erkennen, Allwissenheit und warme Gütigkeit strahlten beide aus. Da schwirrt also die akademische Prominenz mitten im Semester in der Weltgeschichte herum, besäuft sich in Iberia-Maschinen, steht hilflos und megabreit mit unmöglicher Bekleidung nachts auf Flughäfen herum und labert sich Knöpfe an die Backe. Ohje, ohje, in Zeiten von Pisa und Hochschulranking auch noch so etwas. (Don Locko)