Buchmesse

Gestern machten wir einen Ausflug zur Leipziger Buchmesse. Wir, das waren meine Tochter, ihre Freundin und ich, der Fahrer. Während der Reise nach Leipzig erfuhr ich von der Sorge meiner Tochter um mich. Sie hatte Angst, dass es öde wäre, wenn ich den ganzen Tag allein - also ohne sie, dort herumlaufen würde. Kein Problem, meinte ich. Das plötzliche Interesse des Kindes an Literatur unterstütze ich natürlich gern. Am Eingang erfuhr ich, dass die Leipziger Buchmesse eine eigene Manga/Anime Veranstaltung hat. Meine Tochter tat sehr überrascht.
Zuerst wollte ich zu Hitler. Ein mir bisher unbekannter Autor hatte ein Buch über dessen einziges, aber sehr erfolgreiches Buch geschrieben und das kannte ich noch nicht. Als ich am Stand eintraf, beantwortete die Vorrednerin Zuhörerfragen. Das Thema war Rücken und Seele, und die These, dass Rückenprobleme ihren Schlüssel in der Seele zu suchen haben - das ist tatsächlich sehr originell. Anscheinend ist noch niemand vorher darauf gekommen. Irgendwann war sie fertig, und ihre Zuhörer standen stöhnend auf und machten Platz für die wenigen Glücklichen, die sich vorne, in der nicht gerade kleinen Menschentraube, platziert hatten. Hitler verkauft sich eben.
Dessen Buch hieß „Mein Kampf“ und der Redner kämpfte mit den Tücken der Technik. Unsagbar lange zehn Minuten. Als dann selbst der Versuch, ein Mikrofon über das Laptop zu halten scheiterte, gab er auf. Dabei unterschied sich der Autor von Hitler, der sehr lange an den Endsieg geglaubt hatte. Es wurden also zum Glück keine YouTube Videos gezeigt, sondern geredet. Und zwar sehr euphorisch. "Mein Kampf ist 1926 erschienen und hat bis 1945 über 60 Millionen Tote gefordert. Das hat noch kein anderes Buch geschafft." Dabei funkelten die Augen des Autors. Da soll noch jemand behaupten, die Lektüre von Hitlers Text sei in heutiger Zeit harmlos. Er würde lieber Fragen beantworten, meinte er und verwies auf die schlechte Akustik, doch das Publikum wollte etwas vorgelesen bekommen. Am liebsten aus "Mein Kampf", doch das trauten sie sich nicht zu sagen.
Bei meiner nächsten Etappe sah ich dann Harald Martenstein. Er führte ein Interview bei Radio Figaro und ich durfte neben ihm stehen. Nur getrennt durch einen Glaskasten. Wir hörten, was er sagte über einen Lautsprecher, den gelegentlichen Applaus des Publikums hörte er nicht. Er präsentierte ein Buch, auf dessen Cover eine Katze mit Hitlerbart und schwarzem Scheitel abgebildet war. Hitler verkauft sich eben, das verriet dann auch Harald Martenstein im Interview. Und dann verriet er noch, dass er beim Schreiben des letzten Absatzes jeder Kolumne ein Glas Weißwein trinkt. Das erklärt, warum seine Texte stets so rund wirken. Ein Tipp, den ich mir beim Schreiben meiner eigenen Kolumnen unbedingt merken muss.
Die gemeinen Hallenplaner hatten übrigens den Stand des rechten Compact Magazins in Nachbarschaft vieler linker Verlage angesiedelt. Es gab keine Prügeleien oder Demonstrationen, sondern einen Vortrag eines Historikers zu den aktuellen Sanktionen gegen Russland, die er Wirtschaftskrieg nannte. Ich überlegte mir kurz, sein Buch zu kaufen, dachte dann aber an den Spruch meines Vaters über Peter Scholl-Latour. "Er schreibt genau das, was wir denken. Warum sollte ich also sein Buch lesen?".
Meine letzte Lesung war dann harter Tobak. Es ging um Srebrenica, viele Tote und die Justiz in der Schweiz. Immer wenn der Autor etwas Falsches sagte, wurde es von meinem Nebenmann kommentiert. Also wenn er etwas sagte, was nach Sicht meines Nebenmannes falsch war. Ich hätte mich gern woanders hingestellt, aber der Stand war völlig überfüllt. Dann fiel das Wort Lügenpresse und das intellektuelle Publikum applaudierte. Das Problem mit der Presse könnte größer, als angenommen sein, aber auf mich hört ja keiner. Ich kaufte dann das Buch, schließlich hat der Autor drei Monate unter unmenschlichen Bedingungen unschuldig im Schweizer Untersuchungshaft gesteckt. Das Buch enthält viele Farbaufnahmen von Toten, das wusste ich nicht und ich will mir das nicht ansehen. Die Welt ist schlecht, die Menschen sind schlecht und jeder Krieg beginnt mit einer Lüge. Ganz neu ist das für mich nicht.
Es gibt nur wenig Computerspiele, die ich auch zu Ende gespielt habe. Eines davon heißt Tales of Symphonia und ist einfach großartig. Dieses Spiel wurde jetzt verfilmt und ich durfte mir den ersten Teil der Serie anschauen. Neben mir saßen viele als Anime oder Computerspielfiguren verkleidete Menschen. Eine Figur aus Tales of Symphonia war aber nicht dabei. Einem hinter mir geführtem Gespräch entnahm ich, dass noch andere Menschen dieses Spiel gespielt haben. Neben all dem Leid und Krieg gibt es also auch noch richtig nette Menschen.
Dann mussten wir zurückfahren, weil meine Tochter ihr ganzes Geld ausgegeben hatte. Auf der Rückfahrt verriet sie mir, dass sie auch den Stand der Schulbuchverlage besucht hatte. Ich war beeindruckt. Meine total lustige Idee, dass ein Mathebuch, Klasse 8 mit Autogramm des Autors in der Schule neidische Blicke ernten würde, wurde sogar mit einem (etwas gequälten) Lächeln quittiert. Die Leipziger Buchmesse ist toll. (Erp Trafassel)