Du bist nicht Deutschland, du bist DU!

Bereits die alten Griechen versuchten Menschen entsprechend ihres Temperaments bestimmten Gruppen zuzuordnen. Ausgehend vom "Überwiegen" bestimmter Körpersäfte (gelbe, schwarze Galle, Blut und Schleim usw.) nahm Hippokrates unterschiedliche Temperamentstypen an (auch Mischformen sind denkbar): den Sanguiniker (Blut) wird als ausgeglichener Zeitgenosse, der in seiner Mitte ruht beschrieben. Er neigt weder zu Exzessen, noch wird es mit ihm zu langweilig. Der Melancholiker (schwarze, also abgestandene Galle) ist oft traurig und weiß selbst nicht warum, bereits ein falsch konotiertes Wort bringt ihn zum Weinen, er steht sich selbst im Weg, schnief. Der Phlegmatiker (Schleim) steht selbst für so wichtige Dinge wie Klogänge nur ungern auf und versaut sich so regelmäßig die Polstergarnitur. An geregelte Arbeitszeiten kann man ihn kaum gewöhnen, Phlegmatiker sind daher eher fett als schlank, stark behaart und riechen streng im Schritt. Von allen Temperamentstypen fällt der Choleriker (gelbe, also "frische" Galle) am stärksten auf. Schon bei Kleinigkeiten fährt er aus der Haut, schlägt um sich, brüllt wie ein indonesischer Halbaffe, läuft rot an und spuckt beim Reden. Der Spuk ist meist schnell vorbei. Er isst, trinkt und lebt schnell und er fällt zum Ende seines Daseins einfach aus heiterem Himmel tot um.
Diese Taxonomie (verbindliche Klassifizierung) hat ihre Stärken und schafft Ordnung im Temperamentschaos. Heutige Kompetenzen, Verhaltensweisen und -notwendigkeiten werden durch Hippokrates’ Gruppenbildung allerdings nur sehr unscharf abgebildet. Schaut man sich um, fallen aufgrund wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Normen und Wertvorstellungen, die "Extremtypen" kaum noch auf. Choleriker können ihre Neigung nur noch ausleben, wenn sie Chef sind oder Ehefrau. Die Jammerei von Melancholikern geht den meisten Zeitgenossen zudem gehörig auf den Sack, daher ziehen sie sich entweder in ihre Wohnungen oder zu ihren Familien zurück bzw. sie sorgen dafür, dass die wachsende Schar von Psycho- und Hilfstherapeuten abends ein ordentliches Wurstbrot auf dem Tisch hat. Phlegmatiker werden am stärksten diskriminiert und stehen meistens vor Bahnhöfen herum, rauchen und warten darauf, dass man sie füttert. Alle Menschen, die uns im Alltag regelmäßig begegnen werden aufgrund aktueller gesellschaftlicher Normen wahrscheinlich Sanguiniker sein, vielleicht mehr oder weniger phlegmatisch, mehr oder weniger betrübt und nur aufbrausend, wenn eine Oma an der Kreuzung zur kurzen Grünphase im vierten Gang anfahren will.
Ausgehend von diesen Beobachtungen scheint eine modifizierte Systemati-sierung von Typen der menschlichen Existenz sinnvoll, weil bei der groben Zuordnung zu vier Temperamentstypen offenbar zu viele Informationen verloren gehen. Die modifizierte Ordnung orientiert sich nicht ausschließlich am Temperament, sondern auch an Herkunft, Biografie, Bildungsstand und individueller Zukunftsprognose. Unterschieden werden können dabei:
•    mittlerer Angestellter
•    glücklicher Trottel
•    resignierter Trottel
•    Opfer
•    extravertierter Künstler
•    introvertierter Künstler
•    Egozentriker
•    extravertierter Akademiker
•    introvertierter Akademiker sowie
•    Weder-Noch- bzw. Sowohl-als-auch-Typen.
Diese Gruppen werden anschließend anhand ihrer klassischen Merkmale näher betrachtet.

Mittlerer Angestellter
Dieser Typ entstammt geordneten Verhältnissen, wuchs in Wohnungen oder Reihenhäusern mit Schrankwand auf, bekam öfter mal den Arsch voll und rebellierte weder in, noch nach der Pubertät. Seine körperliche Erscheinung ist langweilig, entweder ist er untersetzt, hat einen Bauch und eine fette Hüfte bzw. er ist untersetzt, extrem dünn, hat eine 80er-Jahre "Langigelfrisur" mit Pony und einen dünnen Oberlippenbart. Auch die Kleidung ist zum kotzen: im Arbeitsalltag trägt dieser Typ hellbraune Anzughosen mit hellblauen Oberhemden. Wenn er mal mit den Kumpels ausgeht (was selten vorkommt, denn er hat kaum Freunde außerhalb der Kernfamilie), dann gibt er sich betont leger, trägt eine Stonewash-Cargohose ohne Bändchen (das kommt noch) und ein sogenanntes "Vintage-Sweatshirt" (also eins auf retro gemacht mit bunten Applikationen) ohne Kapuze. Mittlere Angestellte zwischen BAT VIII und BAT VI b tragen dazu Sneaker von Reno, ab BAT V c (viel weiter kommen die meisten nicht) wird mit Sneakers von Esprit aufgetrumpft, die genauso hässlich sind aber dafür länger halten. Die Partnerschaftsfrage mittlerer Angestellter ist leicht zu beantworten: Sie sind entweder ihr Leben lang Single und wichsen oder bereits mit Anfang 20 verheiratet. Ihre Frauen werden, weil sie nicht arbeiten gehen – zu faul, zu dumm oder zu sehr Opfer, kommt später, mit den Jahren immer fetter. Ab 26 sind sie behaart wie ein russischer Ackerochse und haben einen Body-Mass-Index oberhalb von 35. Eine 1,65 große Frau wiegt damit etwa 95 kg. Das andere Partnerinnen-Extrem bildet sich aus megadünnen Kettenraucherinnen mit dunklen Augenrändern und glatten langen Haaren. Die Göhren aus entsprechenden Verbindungen werden meistens auch mittlere Angestellte oder Frauen von mittleren Angestellten.
Dieser Typus hat eigentlich nicht viel auszustehen, ein Leben ohne Höhen und Tiefen, interessant wird es nur, wenn die fette Schnappe an seiner Seite stirbt, das Weite sucht und danach (natürlich) voll und ganz versorgt werden muss. Dann beginnt für den klassischen mittleren Angestellten ein steiler Absturz der beim Alkohol beginnt und beim Alkohol endet. Erst vermüllt die Wohnung, dann bekommt er endlich viele Kumpels (an Bahnhöfen oder Getränkestützpunkten), dann verliert seine Arbeit. Das ist darin begründet, dass man als mittlerer Angestellter pünktlich sein und für den Rest der verlotterten Belegschaft ein Vorbild sein muss, insbesondere für die intro- und extravertierten Akademiker und die Weder-Noch-Typen. Nur dafür wurde er eingestellt. Die Tätigkeitsinhalte sind nämlich zumeist so banal, dass es unvorstellbar ist, dass man dafür überhaupt eine Arbeitskraft braucht. Nein, der mittlere Angestellte fungiert ausschließlich für die Bereiche Pünktlichkeit beim Dienstbeginn und beim Feierabend, Kleidung und Kommunikation als Vorbild für die Akademiker. Die wiederum kommen und gehen, wann sie wollen und auch dazu auch noch andauernd auf Dienstreise sind. Ist die Vorbildwirkung futsch (Fahne, Dreitagebart, keine Hose), ist der Job futsch. Danach folgen Schulden, wegen des fehlenden Einkommens, des Suffs und der angepissten Ex-Ehefrau. Dies mündet in gerader Linie in schneller Wohnungslosigkeit. Kurze Zeit später stirbt der so aus dem Leben entwurzelte mittlere Angestellte nach der sechsten Flasche Korn auf einem Bahnhofsklo. Nur mittlere Angestellte, denen die Frau bis zum Ende ihrer Tage NICHT wegläuft haben eine vergleichsweise gute Chance ein hohes Alter zu erreichen, es sei denn, sie langweilen sich zu Tode.

Glücklicher Trottel
Bildungsstand, Kulturtechniken (Sprache, Ankleiden, Interaktion) und Hobbys sind allesamt prekäre Bereiche von glücklichen Trotteln. Ganze Sätze bekommt man selten zu hören, meistens Verdauungsgeräusche, Furze, allenfalls einzelne Worte (Bier, Kippe, Ficken). Sein politisches Interesse beschränkt sich auf Polemik aus Zeitungen, die mit wenig Text auskommen. Er interessiert sich für Maschinenkämpfe, Traktorrallyes, Schlammcatchen und dicke Titten. Wie der mittlere Angestellte entstammt er aus geordneten Verhältnissen. Trotz der schweinebissigen Blödheit ist er fröhlich, hat einen weiten Freundeskreis (ebenfalls glückliche Trottel, aber auch mittlere Angestellte), säuft viel und hört Schlager. Mit seiner positiven Lebenseinstellung und der zumeist handfesten Begabung schafft er es sich eine kleine Existenz bis hin zum Reihenhaus mit 60 Quadratmeter Garten aufzubauen. In diesem Fall wird im Sommer jedes Wochenende gegrillt und gesoffen. Glückliche Trottel tragen sowohl während ihrer Arbeit, als auch in der Freizeit Arbeitskleidung. Wenn man sich herausputzt, fällt die Wahl der Bekleidung zumeist auf eine stark ausgewaschene weite Jeans mit Bündchen in Höhe der Knöchel. Moderne glückliche Trottel tragen entsprechende Hosen mit angenähten Bändchen. Dazu gefallen hellbraune ausgelatschte Slipper aus Kunstleder, in denen Füße, bekleidet mit Tennissocken stecken. Die Schuhgröße liegt bei der Mehrheit der glücklichen Trottel jenseits der 48. Bei der Oberbekleidung werden weiße T-Shirts und Bomberjacken bevorzugt. Bürstenschnitt oder Fokuhila (je nach Orientierung) runden die lächerliche Erscheinung ab.
Erstaunlicher Weise haben glückliche Trottel nicht ausschließlich extrem dumme Frauen, sondern z. T. auch solche, die sich auf Feng Shui verstehen, unter Umständen sogar studiert haben und manchmal sogar gut aussehen. Dabei handelt es sich um "Opfer" oder um demoralisierte introvertierte Akademikerinnen, die es bis zu einem bestimmten Alter einfach nicht geschafft haben, einen ebenbürtigen Akademiker mit hoher emotionaler Feinfühligkeit zu ergattern. Meistens sind diesen Frauen auch zu viele Männer weggelaufen. Feinfühlig ist der glückliche Trottel zwar auch nicht, aber er kann so tun als ob: Er hört zu und kann an der richtigen Stelle "ist ja voll gemein" sagen. Das reicht zumeist (Akademiker, seht das ein!). Außerdem kann ein weibliches Opfer sicher sein, dass ihr ein glücklicher Trottel niemals wegläuft (weil er zu blöd ist). Er vögelt nur hin und wieder mit billigen Flittchen, die er in Kneipen aufgabelt. Aber das wird ja wohl noch erlaubt sein.
Glückliche Trottel unterscheiden sich von den resignierten Trotteln nur darin, dass sie sich mit ihrer Blödheit abgefunden haben und mit ihr eingerichtet haben. Zentraler Unterschied, auch zu den übrigen Gruppen, ist ihr latenter Hang zu Gewalttätigkeiten unter Alkoholeinfluss. Ansonsten sind sie feine Kerle.

Resignierter Trottel
Vergleichbar mit glücklichen Trotteln ist diese Gruppe dumm wie ein Pfosten. Im Unterschied dazu versuchen sie sich aber stets mit Leuten zu umgeben und dort auch Anerkennung zu finden, die eher der Gruppe mittlerer Angestellte angehören, oder den Akademikern. In diesem Zusammenhang sind sie mit großer Ausdauer bemüht, ihre intellektuellen Defizite auszubügeln. Dies erfolgt zunächst mit der Anschaffung eines Brockhaus in zwei Bänden und ferner durch regelmäßiges fernsehen (insbesondere Galileo bei Pro 7). Damit nicht genug, mangels abgeschlossener (oder defizitärer) Ausbildung, füllen sie Kurse von Oskar-Kämmerer-Schulen und anderen Zertifikatschleudern, um sich als Systemadministrator Linux oder Heilpraktiker ausbilden zu lassen. Meistens geht das in die Hose. Was bleibt ist ein Haufen unverknüpftes Halbwissen, was zu jeder Gelegenheit in Diskussionen eingebracht wird. Aufmerksamen mittleren Angestellten und nüchternen Akademikern fällt dieses aufdringliche Getue schnell auf. Resignierte Trottel erkennt man daher oftmals daran, dass sie stets etwas abseits aber in Rufweite von Gruppen mittlerer Angestellter bzw. Akademiker stehen: Sie holen das Bier und halten ihnen Hunkebunke vom Hals. Sie sind absolut notwendig!
Ihre Kleidung ist im Gegensatz zu der glücklicher Trottel deutlich gewählter aber sehr ungeschickt kombiniert. Beispielsweise wird eine modische Jeans an (gern in schwarz) gemeinsam mit einem T-Shirt von Fishbone getragen. Resignierte Trottel sind zumeist Single und daher ständig am wichsen. Phänotypisch wird auch nicht ganz klar, ob sie nicht eigentlich verkappte Schwule sind, die das Coming-Out verpennt haben. Sie gehen schwul, sind meistens untersetzt und dünn und daher vom Äußeren kaum von den schlanken mittleren Angestellten zu unterscheiden. Resignierte Trottel sind alles in allem arme Schweine ohne jegliche Perspektive, allerdings versuchen sie ständig und mit hohem Aufwand eine zu entwickeln. Die Wissenschaft spricht in diesem Fall von Verlustspiralen.

Opfer
Waren die bisher vorgestellten Gruppen eindeutig männlich dominiert, finden sich bei den Opfern mehrheitlich Frauen. Opfer haben in ihrer Kindheit oder Jugend mehr oder weniger alltägliche Verlusterfahrungen erlebt, Scheidung der Eltern, das Ende des süßen Lebens durch Einschulung, nicht immer mitspielen dürfen, in ganz seltenen Fällen ist jemand gestorben. In die Opferrolle geraten diese Menschen aber erst später – aus eigenem Antrieb. Zu allererst wird der (vermeintliche) Verlust ständig thematisiert, das gesamte Umfeld wird einbezogen und zur Ordnung gemahnt, wenn keine mitfühlende Beteiligung durch die Zuhörer erfolgt. Weil der "Verschleiß" an Bekannten/Freunden dadurch relativ groß ist (kaum einer kann das auf Dauer ertragen), haben Opfer einen großen Bekanntenkreis, den sie nur mit großer Mühe pflegen können. Erst ein großer Bekanntenkreis garantiert aber das als notwendig empfundene regelmäßige Auskotzen. Bei Opfern fällt ferner eine herausragende Segmentation von internaler (Effekte, die auf die eigene Dumm- oder Schlauheit zurückgeführt werden) und externaler Attribuierung (Effekte, die sich auf fremden Einfluss gründen) auf. Sämtliche Erfolgserlebnisse werden in diesem Zusammenhang penetrant als eigener Erfolg verbucht – an irgendetwas muss das kleine Ego ja wachsen. Gelingt etwas nicht, werden Außenstehende allein als Misserfolgsursache identifiziert, oder sie haben einen bedeutenden Anteil daran.
Die berufliche Orientierung von Opfern steht meist schon früh fest, ausgehend von den eigenen Erfahrungen möchte man anderen Menschen "helfen". Zu den klassischen "Opferberufen" zählen daher Diplom Sozialpädagoge(in), Hilfskraft in der geschlossenen Psychiatrie oder die zahlreicher werdenden hilfstherapeutischen Berufe.
Partnerschaft ist ein schwieriges Thema bei Opfern. Denkende Partner werden das einseitige Gewäsch kaum ertragen können. Aus diesem Grund ist auch der Verschleiß an Partnern relativ groß. Ständig müssen ihre Vorstellungen der realen Auswahl angepasst werden – zumeist nach "unten". Langfristige Partnerschaften sind sehr wahrscheinlich mit mittleren Angestellten oder glücklichen Trotteln zu erwarten. Opfer, die sich allmählich aus ihrer Opferrolle befreien, werden von extravertierten Künstlern und für eindeutige Zwecke "eingekauft".
Die wenigen männlichen Opfer sind noch beschissener dran. Sie locken Schläger in Diskotheken, Straßenbahnen, auf Bahnhöfen, belebten Innenstädten und Rossmanns an, wie ein Scheißhaufen die Fliegen. Damit ist verbunden, dass männliche Opfer kaum noch Zähne haben und somit auch keine Arbeit. Wahrscheinlich trifft auf sie früher oder später das zu, was an anderer Stelle (s. o.) bereits von Phlegmatikern gesagt wurde. Sie verhalten sich unauffällig, Scheißen auf Polstergarnituren, stehen allenfalls vor Bahnhöfen (und werden DANN wieder verprügelt) und warten auf ihre Fütterung. Das Leben von Opfern besteht, insbesondere bei männlichen Opfern, aus Warten: ohne Freude! Arme Schweine sind das.

Extravertierter Künstler
Folgende eindeutige Indizien lassen den Schluss zu, dass man einem extravertierten Künstler gegenübersteht: Man versteht nicht was er sagt, er hat eine leicht heulende Stimme, trägt einen weißen Schal, ist leicht desorientiert und er ist ständig am koksen. Weil er ständig kokst muss er andauernd ficken und dabei bekommt er seine künstlerischen Ideen, die er wegen der ganzen Kokserei allerdings schnell wieder vergisst. Als Gespielinnen kommen junge Dinger in Frage, die er fürs vögeln bezahlen muss. Allerdings kommen sie seinen im Koksrausch äußerst versauten Neigungen gern und engagiert nach. Am Ende bringt er dennoch meist etwas zustande, was ihm zu Höchstpreisen abgekauft wird, ansonsten könnte er sich ja auch die ganze Kokserei gar nicht leisten. Wegen des ganzen Blödsinns, den er erzählt, ist er ein beliebter Gesprächspartner und lockert jede Runde auf. Ein Meister des scharfsinnigen und sarkastischen Witzes ist er – Sparwitze verabscheut er. Familie hat er nicht, verheiratet sind extravertierte Künstler auch nicht. Kinder aus früheren losen Verbindungen (damals hat er kunstlos gekokst und gesoffen), gibt es nicht oder er hat sie vergessen. Ebenso liegt seine Kindheit und Jugend im Nebel der Geschichte. Fakt ist aber, weder er, noch seine Eltern hatten jemals etwas mit Arbeit zu tun. Was für ein herrliches Leben! Viel mehr gibt es über den extravertierten Künstler eigentlich nicht zu sagen.

Introvertierter Künstler
Ein Bild des Jammers, abgemagert, erfolglos bei den Frauen und in der Kunst, massenhaft Schulden aber eine außergewöhnliche Begabung zeichnen den introvertierten Künstler aus. Er kokst nicht, sondern säuft nur und raucht andauernd. Ihn umgibt stets eine Aura der Unnahbarkeit. Wie der extravertierte Künstler auch ist er nicht verheiratet, im Unterschied zu ihm fickt er allerdings auch nicht. Das Äußere ist auf den ersten Blick unscheinbar aber keineswegs "stino". Ohne bewusst darauf zu achten ist die Kleidung des introvertierten Künstlers total groovy – eine Kombination aus ausgewaschenen gut sitzenden Jeanshosen, schwarzen T-Shirts mit abgefahrenen Sprüchen und einer Baskenmütze. Ein weiteres Kennzeichen ist, dass extravertierte Künstler entweder stark behaart oder völlig frei von jeglicher Körperbehaarung sind – womöglich rasiert. Trotz ihrer außergewöhnlichen Begabung ist großer Erfolg nicht zu erwarten. Nur wenige schaffen es bis in das Mittelfeld, glänzen da aber mit divenhaftem Verhalten. Sie sind in "Gruppen" und unter Menschen nur schwer zu ertragen. Ein Beispiel ist ein bekannter Sänger, der während des Soundchecks aus nichtigen Gründen, laut lamentierend, seine Bandkollegen beschimpfend und fluchend (hier also gar nicht mehr introvertiert) die Bühne für den Rest des Abends verließ. Erst nach einer mehrstündigen Suchaktion fand man ihn mit stadtbekannten Trinkern in Nähe eines großen Bahnhofs.
Sofern introvertierte Künstler Maler sind, schneiden sie sich regelmäßig Gliedmaßen ab. Von außen betrachtet ein erbärmliches Leben, in dem ein Tiefpunkt dem anderen folgt. Bei genauerer Betrachtung sind es aber in erster Linie introvertierte Künstler, die trotz lebenslangen Suchens nach irgendwas, sehr glückliche Zeitgenossen sind. Was man sucht, kann man immer noch finden – und sich darauf freuen!

Egozentriker
"Betrittst du den Raum ist's, als wär' jemand gegangen oder hätte sich jemand aufgehangen..." (Kassierer, Arm ab). Egozentriker sind unerträglich und zum kotzen – man sollte sie verprügeln oder häuten. Das Zentrum der Galaxie ist aus ihrer Sicht kein glühender Gasball, sondern der vor lauter Geltungsdrang aufgedunsene Leib dieses Zeitgenossen. Aus diesem Grund scheißen Egozentriker mindestens 3x am Tag dünnes Zeugs (was sie auch labern). Wird nicht geschissen, dann wird gefurzt. GEFRESSEN wird kapriziös, laut und mit allerlei Bemerkungen über die Herkunft der Nahrung – zumeist auch nur geltungsdrängiger Blödsinn ("...dieser rote, chilenische Spätburgunder ist in Kombination mit den gegarten Bauchscheiben einfach köstlich..."). Sie werden nie eingeladen, weil sie sich stets selbst einladen. Auf Festen sind sie immer zuerst besoffen und betteln in diesem Zustand um Schläge und Rauswurf. Sie sind neben männlichen "Opfern" die einzige Gruppe, die allein durch ihre Erscheinung Schlägereien provoziert. Ich will hier gar nicht herumdichten, Arschloch bleibt Arschloch. Jeder würde sie am liebsten meiden – geht aber nicht: Egozentriker sind einfach "da" und dabei laute, raumfordernde Prozesse.

Extravertierte Akademiker
Kommen wir nun zu einer Gruppe, deren Mitglieder zwar ähnliche Verhaltensweisen an den Tag legen, wie ihre extravertierten Künstlerkombattanten, allerdings sind sie nicht so extrem ausgeprägt. Gekokst, gesoffen und übermäßig gefickt wird nämlich nicht, weil man hat ja meistens am nächsten Tag irgendeine billige Einführungsveranstaltung vor Uni-Studenten halten muss, die an Fachhochschulen von sogenannten Tutoren (also ebenfalls Studenten) übernommen wird. Folgende Merkmale kennzeichnen extravertierte Akademiker: Stets wird erzählt, dass sooo viel gearbeitet werden muss, sie erzählen JEDEM, was sie wo und mit welchem Impactfaktor veröffentlicht haben. Sie haben dabei nicht zwangsläufig einen akademischen Grad, der über den einfachen Hochschulabschluss hinausgeht, allerdings können sanft besaitete Menschen durchaus auf den Gedanken kommen, es mit einem ausgewachsenen C4- Professor zu tun zu haben. Das ist in der Mehrzahl der Fälle allerdings nicht der Fall. Halten wir also fest: Extravertierte Akademiker erzählen ausschließlich von ihrer akademischen Laufbahn, ihren Plänen und ihren Erfolgen ("...neulich habe ich in meiner Einführungsveranstaltung für die Benutzung der Bibliothek aber wieder ein paar gelangweilte Studenten gehabt, herrje!"). Daran erkennt man, dass extravertierte Akademiker einen sehr guten Grund haben, extravertiert zu sein, weil sie nämlich Flachzangen sind, die über Bibliothekseinweisungen und Buchstabierkurse für keine anspruchsvollen Themen von ihrem Chef auf die Studentenschaft losgelassen werden. Meistens beenden sie ihre "akademische Karriere" nach 12 Jahren und geben danach allen möglichen Umständen die Schuld daran, nicht promoviert zu haben. Dazu können z. B. häufige (eingebildete) Durchfallerkrankungen zählen. Sie labern wie Egozentriker auch Müll, allerdings sprachlich besser verpackt (studiert ist studiert). Die ebenso gefürchteten sogenannten "Turbowissenschaftler" (habil mit 29, 93 Veröffentlichungen in Peer-reviewten Journals, davon 38 mit mindestens 2-er Impactfaktor) gehören eher der Spezies der introvertierten Akademiker an. "Ackere wie blöde aber halt die Fresse!" ist hier das Motto.

Introvertierte Akademiker
Hier scheiden sich die Geister, ein gutes Erkennungsmerkmal introvertierter Akademiker ist ihre zeitweise Verschlossenheit bei gleichzeitiger weitgehender Ausgeglichenheit (zumindest sieht's so aus) und guter sozialer Integration. Sie sind unscheinbar, gehen selten aus sich heraus (Ausnahmen folgen) und sind selektiv verschlossen. Teilweise haben sie keine Vertrauensperson, sondern machen sogenannte Gefühlsgeschäfte mit sich selbst aus. Namen (weder Vor-, noch Nachnamen) können nur dann erinnert werden, wenn ein eindeutiger akademischer oder paarungstechnischer Bezug zu ihnen besteht. Ausnahmen sind enge Freunde. Mit größerer Wahrscheinlichkeit und treffsicherer sind komplexe Gleichungssysteme und abgefahrene Definitionen in ihrer bewussten Erinnerung vorhanden. Eine mir bekannte Freundin eines (wahrscheinlich) introvertierten Akademikers sagte einmal: "Er ist ein lieber Kerl und ich vertraue ihm, allerdings weiß ich nicht, was in ihm vorgeht...". Über das, was sie tun, reden sie selten oder nie. Eine weitere Differenzierung scheint hier notwendig: eine Gruppe redet deshalb nicht, weil es ihnen egal ist und ihnen andauernde Geschichten von der "Arbeit" anderer Menschen aus Nase und Arsch raushängen bzw. auf den Sack gehen (so vorhanden). Eine zweite Gruppe tut dies deshalb nicht, weil sie überall Verschwörung vermutet und ernsthaft darum besorgt ist, dass ihnen ihre revolutionären Erkenntnisse geklaut werden könnten, bevor sie sie in einem high-ranking-Journal veröffentlicht haben. Es handelt sich dabei um die oft belächelten Turbowissenschaftler, die mit 29 habilitiert sind, nahezu 100 Peer-reviewte (also "wertvolle") Veröffentlichungen vorweisen können, von denen mindestens ein Drittel in Journals erfolgte, mit einem "Zweier" Impactfaktor oder mehr (was nicht schlecht ist). Auch diese Menschen sind eindeutig erkennbar: dauerhaft Single oder schwanger, schlechte (d. h. hier gelbe) Zähne und ein etwas ungeschicktes Äußeres. Sie bewerben sich ständig auf ausgeschriebene Junior-Professuren, die allerdings in oft in der Sackgasse enden.
Partner kommen im Weltbild des introvertierten Akademikers zwar vor, spielen aber eine untergeordnete Rolle. Viele von ihnen haben keine, weibliche Vertreter sind entweder dauerhaft kinderlos oder schwanger (und zwar ständig). Ein introvertierter Akademiker kann seine "Hemmungen" in sozialer Interaktion allerdings teilweise ausblenden. Zumeist ist dann Alkohol im Spiel. Diese Gruppe ist berüchtigt dafür, Werbeschilder zu zerkloppen, herumzupöbeln und gegen den Staat zu sein. Bis auf die Untergruppe der Turbowissenschaftler gilt auch hier: relatives Glücklichsein ist sehr wahrscheinlich, weil diese Menschen rastlos auf der Suche (wonach?) sind, und was man noch nicht gefunden hat, darauf kann man sich freuen.
Es gibt sowohl männliche (viele), als auch weibliche introvertierte Akademiker(innen) (wenige). Die weiblichen sind meistens emotionale Feinmotoriker (ganz im Gegensatz zu ihren männlichen Pendants). Ihnen fällt es daher schwer, ebenbürtige Partner zu finden. Nach mehreren erfolglosen Versuchen wenden sich diese Frauen glücklichen Trotteln, mittleren Angestellten oder niemandem zu.
Extravertierte und introvertierte Akademiker werden nur aus einem einzigen Grund eingestellt: sie sind schlechtes Beispiel für die mittleren Angestellten. Ihre Arbeitsleistung ist zumeist unterirdisch. Als Orientierungsgruppe sind sie allerdings nützlich und können insgesamt als Endpunkt eines Kontinuums gewertet werden, den ein mittlerer Angestellter niemals erreichen möchte. Mittlerer Angestellter und (intro-/extravertierte) Akademiker bilden sind zwei Seiten derselben Medaille.

Weder noch bzw. sowohl als auch Typen
Tja liebe Leute, nicht wiedergefunden? Messerscharf erkannt: auch diese Taxonomie hat ihre Schwächen. Keiner will irgendwas von dem sein, was in den acht unterschiedlichen Typen beschrieben wurde. In der eigenen Wahrnehmung wird man sich trotz erderwärmender Blödheit nicht damit abfinden können, ein Trottel zu sein. Das Dasein als extravertierter Künstler hat seine Vorteile, scheint aber für die westlichen Normvorstellungen allenfalls dann erstrebenswert, wenn genug Koks erworben werden kann. Das Leben mittlerer Angestellter ist auf dem ersten Blick auch nicht unbedingt attraktiv, schließlich sind "niedere Aufgaben" mit kaum einem Selbstbild vereinbar. Als introvertierter Akademiker wird man wahrscheinlich weniger Probleme mit sich "selbst" haben, allerdings werden andere das haben – kein leichtes Dasein. Durch die Unbeliebtheit von Egozentrikern, Opfern und resignierten Trotteln wird sich wohl kaum jemand diesen Gruppen zuordnen. Glaubt mir aber: hier werden mindestens die Hälfte der Menschen mehr oder weniger trennscharf (oder treffsicher) einzuordnen sein.
"Weder-Noch-" und "Sowohl-als-auch" heißt nichts anderes als: irgendwas steckt wohl in allen Menschen, wenn auch bestimmte Gruppenmerkmale stets überwiegen werden. ES IST SO Lady's und die, die es noch werden wollen! (Don Locko)