Philipp Poisel live

„Ich war sechzehn und sie einunddreißig.“ Peter Maffay


Heute Abend gehen wir mit den Mädels vom Hüftkreisen zum Mädchenkonzert von Philipp Poisel, immerhin jemand, der ein waschechtes Oi! im Namen trägt, wenn er auch nicht aus diesem Grunde zur Gitarre greift. Leider spielt er in großer Halle vor großem Publikum und mit ganz vielen jungen Frauen jeden Alters inside - eine ungewohnte Situation für einen alten Randgruppenrocker wie mich. Der Mainstream ist ein Arschloch, denke ich mir und habe Recht. Vor Veranstaltungsbeginn holen wir uns schnell noch ein Kaltgetränk, was einer Tagesreise gleichkommt. Wir stehen ewig in endloser Schlange und müssen unnötig häufig die sauteuren Eintrittskarten vorzeigen, um wieder unsere Plätze vor der Bühne zu erreichen. Normalerweise hätte ich mir ja Getränke mitgebracht, aber das mögen die hier wohl nicht so.
Ich sitze wenigstens direkt am Gang, unbestreitbar ein Vorteil, den ich immer wieder zu schätzen weiß, denn sollte unvermittelt eine Panik ausbrechen, wäre ich einer der ersten an der Fluchttür. Zwar sind Amokläufe unter den gegebenen Umständen unwahrscheinlich, aber man weiß ja nie was kommt. Ich kann also ganz beruhigt den Fortgang des Abends erwarten, nippe am Plastikbecher und fühle mich wie beim Take-That-Konzert. Als der Künstler die Bühne betritt, empfängt ihn natürlich tosender Applaus. Er singt solo zur Gitarre, erzählt lustig von seiner Mutti hinter der Bühne und seiner zu engen Hose um ihn herum. Dann folgen Geschichten von verkorksten oder verflossenen Liebschaften in Schweden, in Frankreich und im Zoo, zu denen meine Frau meint, der komische Poisel sei bestimmt ein Stalker. Wer weiß?
Begleitet wird er vom kleinen Besteck aus Flügel, Cello und Cello und gegen die Musik ist echt nichts zu sagen, singen kann der Bengel, der Sound ist super, die Stühle sind weich. Wenn nur dieses Publikum nicht wäre, diese Douglas-Prinzessinnen in hohen Stiefeln, diese Bürotussen auf Ausgang und dazu die Security-Heinis in ihren dunklen Anzügen, die uns alle bewachen. Ob die wohl, wenn es hart auf hart käme, eine von den kreischenden Zicken in den Schwitzkasten nehmen und aus dem Saal zerren würden? Abwarten…
Komischerweise geht nach jedem Lied ein Teil der Saalbeleuchtung an und taucht den Abend in das liebliche Licht einer Karstadt-Filiale kurz vor der Insolvenz. Wozu dies immer wieder geschieht, bleibt mir schleierhaft, den Notausgang würde man auch bei weniger Beleuchtung finden und das die duseligen Trullen nachtblind an der Bühnenkante zerschellen, scheint mir dann doch unwahrscheinlich zu sein. Bei normalen Konzerten würde man die schmale Bühnenbeleuchtung einfach beibehalten, um die Stimmung nicht zu verhunzen, doch hier wird eifrig der Atomstrom durch die Neonröhren gepumpt. So kommt wohl auch der manische Eintrittspreis zustande.
Der Barde gibt trotzdem den gefühlvollen Minnesänger, immer auf der Suche nach dem kleinen Glück und wickelt damit die Damen mühelos um den ebensolchen Finger. Und als er auch noch sein Plektrum verbummelt hat, der arme Schussel, vollendet er das Bild des schüchternen Tollpatsches und schmilzt sich endgültig in die klammen Herzen der Zuschauerinnen. Ich frage mich jedoch, ob die schmachtenden Damen ihn wirklich mit nach Hause nehmen würden, den kleinen krummen Jungen mit der niedlichen Sprechstimme, oder ob sie nicht doch lieber zu ihren öden Ehemännern zurückkehren, mit den träumerischen Gefühlen des Abends im Gepäck.
Zum Ende hin ist das Auditorium ganz aufgeregt, es klatscht rhythmisch im Takt, was eindeutig besser zu DJ Ötzi oder Andrea Berg gepasst hätte und zur Krönung des Ganzen stehen sie auch noch auf, die Sekretärinnen und die Zahnarzthelferinnen gleich mit, um sich im Taumel ihrer schwülstigen Empathie zu wiegen und mir die Sicht auf die Musiker zu nehmen. Ich schäme mich zu tiefst für meine Mitmenschen und brumme „Mädels, datt issen Sitzkonzert!“ vor mich hin, bis mich meine eigene Damenbegleitung zur Zurückhaltung auffordert. Und dann singen sie sogar noch laut mit, die gebrochenen Herzen pochen um die Wette und Tropfen der Rührung kullern in zerknüllte Taschentücher. Ich halte mir den malträtierten Hut vor´s Gesicht, um nicht ebenfalls in Tränen auszubrechen und die Kleinkunst zu beweinen, die hier von drögen Weibern zu Grabe geschunkelt wird. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Im letzten harten Winter zupfte diese Musik schüchtern an meiner romantischen Saite, ich mochte die Texte, die Poiselei. Aber unter solchen Umständen bin ich zutiefst verbittert. In einem kleinen Klub, einer verrauchten Kneipe oder an einem kuschligen Lagerfeuer wäre bestimmt auch ich ein bisschen dahingeschmolzen. Doch dieses Publikum ekelt mich an. Gut, da kann der Philipp nix für, das die doofen Hühner so drauf stehen. Und gönnen tue ich es ihm natürlich auch. Aber für mich ist das nix. Mädchenmusik ist halt doch für´n Arsch, eindeutig. (HO)