C.aame´ in Berlin

"I will kill myself right in front of your eyes." (Jessie Garon)


Wenn gestandene musikalische Fachleute wegen dem Punkrock extra bis in die Hauptstadt fahren, wollen sie gefälligst ordentlich was erleben. Ist doch logisch.
Abfahrt zu dritt, kurzer Stopp am Waldesrand bei Brandenburg, Schreck lass nach, sieht hier irgendwie nach Perversentreffpunkt aus. Der vierte Musiksachverständige steigt zu. Was hat der im Wald mit seinem alten Kumpel gemacht? Das olle Ferkel! Pilze haben die da bestimmt nicht gesucht. Zu der Jahreszeit. Egal.
Ein paar Bier und mehrere Pullerpausen später Eintreffen im Schmelztiegel der Urbanität. So viele Menschen auf der Straße wie früher nur zur Maidemonstration. Und komische Sprachen sprechen die hier und lustige Sachen haben die dabei an. Die Weltstadt gibt sich einladend und unterhaltungserprobt – die Party kann beginnen. Wir Dorfjacken finden den angepeilten Musikladen sofort, wollen aber vorher noch was gedönertes essen. Sollte in Berlin ja kein Problem sein. Wir gehen erst geradeaus, nach links, dann zurück und dreimal im Kreis, hin und her, pullern im Park und alles noch mal von vorn. Doch kein Türkenimbiss weit und breit. Was denn hier los? Dass auf die Politik kein Verlass mehr ist, überrascht uns nicht. Das die globale Erwärmung ungeahnte Wetterextreme über uns bringt auch nicht. Aber wenn die Drehspießgastronomie jetzt auch noch komplett zurück tritt, ist das Ende nahe. Bleibt uns nur die Einkehr beim nächsten Pizzabäcker. Bier geht schnell, gekochtes dauert ewig. Mit einem freundlichen Döner wäre uns das nicht passiert.
Über eine Stunde später betreten wir das Konzerthaus. Das Getränk in der Kneipe wird umrahmt von nahtlos tätowierter Bedienung ohne Deutschkenntnisse und How To Loot Brazil – hübsche grüne Menschen, fluffige Musik mit Rhythmusmaschine, Gitarre und Tanz – aber trotzdem leider nur Mittel zum Zweck. Die Reise muss weitergehen. Im Keller erwarten wir den Höhepunkt des Abends. Die Vorband Future Fluxus gefällt sogleich mit geilem Sound und hochtechnischer Instrumentenbeherrschung. Ein herrliches Gefrickel und Geschepper, das leider die vielen guten Songideen sofort wieder zerschreddert. Auf die Dauer etwas anstrengend. Trotzdem Hut ab!
Nach einer längeren Umbaupause kommen endlich die schwedischen Herren von C.aarme´. Man gibt sich künstlich-schwul und poltert ordentlich drauf los. So wollten wir das haben. Ob die hier mehr Leute kennen, als bei uns (also quasi niemand)? Wir sind ja schließlich Fans der ersten Stunde. Wir wohnten nämlich bereits der ersten Tour 2004 bei und waren total begeistert, ergatterten sogar Autogramme der unbekannten Helden. Holla!
So auch diesmal. Der Mikroständer fliegt gleich beim ersten Song auseinander und dient nur noch als sperrige Stolperfalle, die zwischen Band und Publikum hin und her wandert. Uns geht das Herz auf. Was eine Performance! Und so schöne Menschen. Sportlich schlank und den Arsch voller Energie. Ein kleiner Querschnitt des letzten Albums, ein wenig „Vita“ und zwei alte Songs – nach einer guten halben Stunde ist der Spuk leider schon wieder vorbei. Ich glaube, der Schlagzeuger ist neu, der kann noch nicht mehr. Schade. War trotzdem geil. Bis in den Backstage schaffen wir es diesmal nicht, unsere Englischkenntnisse langweilen und vergraulen die Musiker bereits an der Bühnenkante, eine höfliche Einladung bleibt aus. Wir hätten uns natürlich auch für mehr hergegeben. Man kennt uns schließlich als angenehme Gesprächspartner und trinkfreudige Nachtschwärmer. Einige Schwedenkapellen können ein Lied davon singen.
Die Rückreise durch Berlin gestaltet sich dank unseres hochmodernen Navigationsgerätes langwierig und führt uns durch ungeahnte Winkel der schlafenden Stadt. Echt finstere Ecken in unserer verehrten Metropole. Man hätte auch einfach den bekannten Weg zurückfahren können. Doch wie gern lauschen wir der freundlichen Stimme der Tante aus der kleinen schwarzen Schachtel. Denn ganz Unrecht hat sie ja nicht. Morgens um vier sind wir zu Hause. Und nicht mal richtig besoffen. Aber war trotzdem schön. (HO)