20 Jahre Strafe

„Wenn man immer nur den Osten mästet, das rächt sich.“ Rainald Grebe


Heute fahren wir mit dem kleinen schwarzen Bus ganz weit weg. Wir besuchen Die Strafe, EA80 und noch wen im Projekt 42 Mönchengladbach anlässlich eines runden Geburtstages. Wird aber auch Zeit, dass wir da mal vorbei schauen.
Nach endlos langer Fahrt erreichen wir Mönchengladbach. Und es fällt sofort ins Auge, warum die geliebten Bands in ihren Texten so gern im Trübsinn schwelgen. Die Stadt hat mit dem berühmten goldenen Westen nämlich nicht viel gemein. Wir befinden uns anscheinend im Vergnügungsviertel der Ortschaft - Kneipen, Sexshops und Trinkhallen flankieren unseren Weg. Es duftet nach Chemie und Pisse. Unsere Heimat ist fast komplett durchsaniert, aber hier passiert anscheinend schon lange nichts mehr dergleichen. Stillstand seit Ewigkeiten. In diesem Moloch muss man ja suizidal werden. Zum unserem Glück kommt gute Musik dabei raus.
Wir laden unsere Wechselschlüpfer im Hotel ab und speisen beim nächsten Dönermann. Die türkisch Pizza ist etwas ungewohnt, aber dennoch lecker. Die Dönermänner zu Hause kochen ein wenig anders. Gekonnt betreten wir kurze Zeit später den Veranstaltungsort. Die erste Band spielt bereits, macht aber nichts. Dann endlich EA80! Seit fast zwanzig Jahren träume ich davon. Noch nie gesehen und doch erkannt. Die gereiften Herren gehen mit Freude ans Werk, spielen sich durch etliche Lieblingslieder und wir sind ergriffen. Sogar ein Geburtstagsständchen für Die Strafe scheppert von der Bühne und Junge badet kurz im Publikum. Die Einheimischen haben so was Schönes sicher schon öfter erlebt. Für uns Zugereiste ist es etwas Besonderes. Wir singen lauthals mit, recken die Fäuste, liegen uns in den Armen. Leider ist es viel zu schnell vorbei.
Jetzt schnell noch mal pullern gehen, ein Bier kaufen – die Strafe kommt bestimmt. Für mich die nächste Premiere. Es geht fröhlich weiter. Die Stimmung steigt stetig, die Tänzer brauchen Platz. Ich trete an den Rand und beobachte das rege Treiben. Meine Erfahrungen mit dem Pogo sind durchweg negativ, da halte ich mich besser raus. Hin und wieder bekommt man eine geflankt, von der Box neben mir regnet es Gläser und Flaschen. Die Musik fetzt ordentlich, alles Hits, kann man nicht meckern. Strafe muss sein - wir grölen fleißig mit. Ein großartiges Konzert. An den Sträflern sind die Jahre auch nicht spurlos vorbei gegangen, bloß gut, dass wir das noch erleben dürfen.
Ich stehe also vorwiegend am Rand des Geschehens und manage nebenbei den Nachschub für die Kollegen. Denn mein Trinkverhalten ist heute mal wieder nahezu vorbildlich. Während der Anreise halte ich mich höflich zurück, nippe nur hin und wieder an meinem medium Mineralwasser. Andere Gäste hingegen betrinken sich schon auf der Fahrt und handeln fortwährend die nächsten Pinkelpausen mit dem Busfahrer aus. Der Chauffeur zieht sofort nach unserer Ankunft mit hochprozentigem nach und holt die Anderen mühelos ein. Durch den späten Beginn meiner eigenen Verflüssigung gelingt mir jedoch eine souveräne Abendgestaltung. Sich am nächsten Tag an die Ereignisse erinnern zu können, ist nämlich auch mal ganz schön.
So treibe ich förmlich wie eine kleine Schaluppe der Zivilisation in einem Meer der Trunksucht und Rüpelei. Während die Reisegefährten sich zur lauten Musik stoßen und schubsen, kümmere ich mich mütterlich um Getränke, um der Dehydrierung, welche den armen Seelen unablässig droht, entgegen zu wirken. Erst nach der Strafe übermannt mich zunehmend der Taumel und ein letztes Pils aus der Trinkhalle gegenüber bringt uns wohlbehalten ins Hotelbettchen. Verbrannte Erde klemmen wir uns diesmal, die kennen wir bereits.
Am nächsten Morgen weckt mich ein dominanter Hirndruck. Hat wohl gestern doch gereicht. Nach einem ordentlichen Frühstück brechen wir zu einer Ortsbegehung auf. Der abendliche Eindruck bestätigt sich bei Tageslicht. Leben möchte ich hier nicht. Ein Fremder spricht uns an und beantwortet Fragen, die niemand gestellt hat. Er bezeichnet sich als ehemaligen Ossi und elitären Schweißer. Was für ein Zufall. Nur mit Glück können wir ihn abschütteln. Der hätte uns sicher eine wortreiche und bierselige Stadtführung verpasst.
Unser Geocacher führt die Wanderung zielsicher an, sucht in Ecken und Ritzen und auf hohen Bäumen nach Verstecktem und leitet uns weiter, als nötig gewesen wäre. Es gibt hier anscheinend sogar historische Bauwerke, den Gesamteindruck rettet das jedoch nicht. Das drum herum bleibt trostlos. Arme Wessis. Gegen Mittag fahren wir endlich nach Hause in die blühenden Landschaften. Und ich habe nach etlichen Stunden immer noch den gladbacher Klosteingeruch in der Nase. Ob das jemals wieder weg geht? (HO)