Konsequenz

„Potpourri Wir sind eh zu BESOLDUNG ACCESSOIRES GGF OZT“ (Nachricht an Erp Trafassel)


Große Sportveranstaltungen genießen in unserem Kulturkreis eine besondere Wertschätzung. Sie gelten als Triumph der Humanität über archaisches Kriegsgemetzel und rohe Gewalt der dunklen Vergangenheit, die durch fairen Wettstreit ersetzt, den Menschen in aller Welt zur Freude gereichen sollen. Das Kräftemessen junger Athleten aus allen Ecken der Erde symbolisiert eine gerechte Welt, in der jeder Teilnehmer seine Möglichkeiten hat und niemand per se aus dem Rennen ist. Vorgegaukelte Chancengleichheit. Dabeisein ist alles – ein Motto, das ich mir beim Arbeiten selbst immer wieder zu Herzen nehme.
Die Vorfreude auf dieses Ereignis verführt unsere Leitmedien dazu, bereits etliche Jahre vor dem Eintreffen des olympischen Feuers über Bauarbeiten an Straßen, Stadien und Unterkünften zu berichten, Politiker, Funktionäre und Anwohner zu befragen und immense Schäden für Mensch und Umwelt zu prognostizieren. Etliche Tierarten, Regenwälder und die Ärmsten der Armen würden aller Voraussicht nach aussterben oder unter unwürdigen Umständen ihrem ersehnten Ende entgegenfiebern. Unweigerlich müsste das gesamte Unterfangen in einer einzigen Katastrophe gipfeln und wäre uns Gutmenschen kaum zuzumuten. Diese Einschätzungen gelten natürlich vor allem für Staaten, mit denen unsere demokratischen Wertvorstellungen und wirtschaftlichen Interessen seit vielen Jahren im Clinch liegen. Als Beispiele genannt seien hier die Olympischen Spiele 2008 in Peking, 2016 in Rio, die Fußball-weltmeisterschaften in Südafrika und Katar und alle Sportveranstaltungen in Russland seit Iwan dem Schrecklichen.
Wie wir seit Jahren wissen, werden in Deutschland derartige Sportfeste von der Bevölkerung mehrheitlich abgelehnt. Immer wieder scheitern Olympiabe-werbungen in Umfragen und Volksabstimmungen. Schließlich gibt es in unserem Land genug verkorkste Großprojekte und Milliardengräber und selbst das Sommermärchen 2006 erweist sich im Nachhinein als mit Bestechungsgeldern gekaufte Fußballgala, bei der vor allem unsere eigenen Lichtgestalten und Organisatoren zwielichtige Praktiken angewandt zu haben scheinen. In Anbetracht dieser Tatsachen frage ich mich, wer solcherlei Szenarien zukünftig überhaupt noch durchexerzieren kann, wenn nicht autoritäre Regierungen, die ihren Völkern weder Rechenschaft noch irgendwelche nachhaltigen Fortschritte schuldig sind. Und wir müssen uns überlegen, wie damit umzugehen ist.
Die konsequenteste Reaktion scheint dem informierten Mitbürger, an diesen Veranstaltungen gar nicht erst teilzunehmen. Eigentlich sollten wir im Wissen um den moralischen Sieg zu Hause bleiben und mit einem kleinen Bier in der Hand den undemokratischen Popanzen die kalte Schulter zeigen. Jedoch würde man damit nicht nur die geschundenen Sportler enttäuschen, die jahrelang auf dieses Ereignis hingearbeitet haben, sondern vor allem die Sponsoren und Werbe-kunden verprellen. Und das passt erst recht nicht in unser Wertesystem. Den armen Sportartikelherstellern entgingen gigantische Umsätze und Profite und sicher wären auch zwei bis drei Arbeitsplätze in Deutschland gefährdet. Eine rigorose Absage könnte man den Verbänden und Lobbyisten schwerlich vermitteln. Also lieber mitmachen. Eventuell schmollt die Kanzlerin und fährt nicht zur Eröffnungsfeier und der Außenminister hat auch irgendeinen Vorwand und schickt seinen zweiten Staatssekretär zum Händeschütteln. Aber dann können wir die Wettkämpfe genießen, die Werbung verinnerlichen, wenig später zielgerichtet einkaufen und dabei kleinlaut vor uns hin schimpfen. Über die Ungerechtigkeit, die Umstände und das Wetter.
Unsere Athletisten geben natürlich ihr Bestes und heimsen auch die eine oder andere Medaille ein, aber sie siegen unverständlicherweise nicht immer. Manchmal, wenn wir Glück haben, werden erfolgreichere Sportler anderer Nationen Stunden nach dem Wettkampf des Dopings überführt, fahren besoffen und halbnackt mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder prügeln sich in Diskotheken mit der einheimischen Bevölkerung. Alles, was die Anderen in Misskredit bringt, lässt unsere Sportler etwas makelloser aussehen. Und allein dafür hätte sich die Teilnahme gelohnt. Andererseits zeigen uns die Reporter hin und wieder einen schwer beladenen, humpelnden alten Mann oder kleine Kinder mit ganz vielen dreckigen Füßen und wir fragen uns, ob es wirklich eine gute Idee war, bei dem Spektakel mitzuwirken. Es ist halt nicht einfach, immer ein besserer Mensch zu sein.
Im Übrigen ist so eine Olympiaweltmeisterschaft ungefähr wie ein runder Geburtstag bei der buckligen Verwandtschaft. Wenn er dir partout nicht in den Kram passt, geh einfach nicht hin. Sag mit ordentlicher Begründung ab und wenn du doch hingehst, dann halt die Fresse, trink dein pisswarmes Hasseröder und meckere dir nicht ständig irgendwas in den Bart. Auswerten kannst du das Ganze später unter vier Augen mit deinen Freunden.
An Geradlinigkeit mangelt es jedoch nicht nur der Sportlerpolitik. In allen möglichen Bereichen des öffentlichen Lebens werden endlose Diskussionen abgehalten, Themen totgeredet und Interessierte schwindlig gequatscht. Hauptsache, es kommt nichts Schlüssiges dabei raus und alles bleibt im Fluss. Bei Bauprojekten versinken Steuergelder im Nirgendwo, werden Planungen immer wieder über den Haufen geworfen und Termine nach hinten verschoben. Der Gutbürger fragt sich, wie so etwas möglich sein kann, wo die Fachleute ihr Fachwissen und ihren Verstand gelassen haben. Kein Privathaushalt könnte mittelfristig in der Art über die Runden kommen und mein eigener schon gar nicht.
Um dem allgemeinen Trend der Inkonsequenz und fadenscheinigen Ausreden etwas entgegen zu setzen, traf ich mich letztens mit einem alten Freund und Gesinnungsgenossen an meinem Küchentisch. Eine kurze handwerkliche Tätigkeit, die bereits nach zehn Minuten wegen allzu geringer Erfolgsaussichten abgebrochen und mit einem kühlen Pils abgeschlossen werden konnte, führte im Verlauf zu einem fulminanten Trinkgelage nahezu epischen Ausmaßes. Gänzlich ungeplant gerieten wir in einen blonden Strudel des Schicksals.
Die ersten Flaschen liefen mit der ernsten Absicht durch die Kehlen, sich nach einer kleinen Erfrischung wieder produktiv dem Tagwerk oder der Familie zu widmen. Mit der Zeit verselbstständigte sich jedoch der Ablauf. Es zeigte sich unser sportlicher Ehrgeiz, der den Sieg über alle Widrigkeiten ins Auge gefasst hatte. Keine Ablenkung, keine Musik und keine tiefsinnigen Gespräche. Zwei Männer, ein Tisch und viele Flaschen. Nur die pure Freude am Trinken. Nix zu knabbern, zum Mittagessen ein wenig Blumenkohl mit brauner Butter und Bier. Viel Bier. Hochkonzentrierter, fokussierter, ergebnisorientierter Getränkekonsum. Luxusvernichtung. Bis alles alle war und nichts mehr ging. Zahllose leere Flaschen. Zwei Gefährten - völlig fertig, lange vor dem Abendbrot. Kommu-nikationsdesaster. Heimweh.
Daran könnten sich ein gewisser Flughafen und die ganzen anderen schwebenden Megaprojekte ein Beispiel nehmen. Mal etwas zu Ende bringen. Den Vorgang abschließen. Abschied nehmen. Zum Schluss nach Hause gehen. Egal wie. Schlafen. (HO)