Sozialismus, Kommunismus, Kapitalismus und die Ukraine

Das Universum, in dem sich meine Kindheit abspielte, hieß DDR. Das war ein kleines Land mit eigenem Geheimdienst und schlecht produzierter staatlicher Propaganda. Die Gesellschaftsform nannte sich Sozialismus und es sah auch nicht so aus, als ob sich demnächst etwas daran ändern würde. Alles wirkte unfertig. Das lag daran, dass der Sozialismus nur eine Übergangsgesellschaft war, die irgendwann gesetzmäßig durch den Kommunismus ersetzt werden sollte. In dieser Zukunft würde es dann besser werden.
Die Zeitungen schrieben so ziemlich das Gegenteil vom dem was das Volk dachte, viele Dinge gab es einfach nicht zu kaufen und der Geheimdienst tat böse Dinge, nur mit dem Ziel, möglichst viel über die in der DDR lebenden Menschen herauszufinden.
Hinzu kam noch, dass wir zur Zeit des kalten Krieges aufwuchsen. Es gab zwei, bis an die Zähne mit Atomwaffen aufgerüstete Machtblöcke, die sich nicht vertrauten. In der Tat wissen wird jetzt, dass es damals ernsthafte Überlegungen gab, den Gegner so schnell und vollständig zu vernichten, dass er keine Gelegenheit zur Gegenwehr hat. Der absolute Wahnsinn. Es gab auch ein paar Menschen auf jeder Seite, die sich aus einem Bauchgefühl dazu entschlossen haben, keine Vergeltungswaffen auf den Gegner loszulassen, obwohl der Computer eindeutig einen atomaren Angriff angezeigt hatte. Ein Hoch auf das menschliche Bauchgefühl.
In dieser unsicheren kleinen Welt wuchs ich also auf. Das harte entbehrungsreiche Leben in der DDR hat mich gestählt, um mich auf das brutale Leben im Kapitalismus vorzubereiten, der dann endlich Ende 1989 kam. Der Kapitalismus war dem in der DDR praktizierten Sozialismus natürlich um Längen überlegen und ich würde auf keinen Fall wieder tauschen wollen. Alles was man haben konnte gab es zu kaufen. Die Presse schrieb vielfältig, das Militärische war nicht mehr so präsent und der böse Geheimdienst war abgeschafft.
Einen ersten Dämpfer bekam mein Fortschrittsglaube, als ich im Winter einen Ski-Anzug kaufen wollte. Auf Grund der optimierten, modernen Produktions- verhältnisse ohne Lagerhaltung muss man Wintersachen bereits im Sommer kaufen. Und es wird immer schlimmer. Gab es 1999 ein paar Tage vor der partiellen Sonnenfinsternis in den Drogeriemärkten noch vereinzelte Sonnen-finsternis-Brillen, sah es 2015 schon düster aus. Der Begriff Mangelwirtschaft umschreibt diesen Zustand recht gut.
Über den Geheimdienst will ich lieber nichts schreiben. Das regt mich immer noch zu sehr auf. Die NSA mag zwar nicht mit so fiesen Personen besetzt sein, wie die Stasi, aber sie weiß viel mehr über die Menschen. Die NSA ist so mächtig, dass sie die gesamten Telefongespräche der österreichischen Bevölkerung für ein halbes Jahr speichert. Das stimmt tatsächlich!!! Für die Verhinderung von Terroranschlägen ist das ungemein praktisch - aber auch ziemlich gruselig. Und dass alle Gemeindienstmitarbeiter moralisch integre Persönlichkeiten sind, kann mir ernsthaft niemand erzählen.
Eine freie Presse haben wir immer noch. Leider ist sie nach Zeitungen getrennt. Während ND, Freitag und Junge Welt auf der ukrainischen Regierung rumhacken dürfen, halten sich die konservativen Medien mit Kritik zurück. So erschien kürzlich in der Welt ein Online-Kommentar mit der Überschrift "Die Ukraine hat eine Mitschuld am Krieg." Etwas später stand dort "Die Ukraine hat eine Mitschuld an ihrer Misere." Man spürt richtig, wie jemand von oben eindringlich erklärt hat, "dass sowas nicht geht". Hatte ich schon erwähnt, dass die Russen inzwischen bessere Propaganda machen als unsere staatlichen Organe? Wahrscheinlich leben wir trotzdem gerade in einem der reichsten Länder mit dem demokratischstem Gesellschaftssystem und den freiesten Menschen. Das macht das Ganze aber auch nicht besser.
So kommt also auf allen Ebenen immer mehr von der vertrauten kleinen Welt der DDR zurück. Die Menschen sind zum Glück wandelbar und können sich gut an veränderte Umstände anpassen. Was mich die recht kurze Zeit in der DDR gelehrt hat: Man kann auch in einem miesen Gesellschaftssystem überleben. Familie, Freunde und die Rumpelkapelle, in der man ab und zu spielt oder singt, sind viel wichtiger. Und Alkohol ist immer noch vielfältiger und billiger als in der DDR. Und das wird, wie ich den Kapitalismus kenne, auch so bleiben. (Erp Trafassel)